Weide: Pilze, Fruktan und Hufrehe
Pferdeweide: Pilze im Gras, Fruktan und Wohlstandserkrankung z.B. Hufrehe
aus Pferd & Freizeit (2006/2) | VFD-Verbandszeitschrift
Autor: Dr. rer. nat. Renate U. Vanselow
Redakteur: Nicole Fersing (18.09.2006)
Pilze im Gras – freundliche Symbiose oder Gefahr für Weidetiere?
Weidelgräser (Lolium-Arten) und Schwingel (Festuca-Arten), also die Haupt-Leistungsgräser unserer Weiden, sind nicht nur extrem nahe miteinander verwandt und beliebig kreuzbar (Hybridisierung). Sie gehen auch von Natur aus gerne eine für beide Seiten nützliche Zweckgemeinschaft mit Pilzen ein, die dann im Gras leben (endophytische Symbionten).
Es sind verschiedene dieser Pilze bekannt. Von ökologischem und wirtschaftlichem Interesse ist beispielsweise der Pilz Neotyphodium lolii, der in Gemeinschaft mit Lolium perenne lebt. Früher hat man die Besiedlung als Infektion betrachtet, heute wird sie als Symbiose eingestuft. Die Verbreitung findet über infizierte Grassamen statt.
Nachlesen kann man das in einem Gutachten, das für das Umweltbundesamt erstellt wurde und das man kostenfrei über das Internet herunterladen kann: www.umweltbundesamt.de, Texte 08/02, ISSN 0722-186X, Biologische Basisdaten zu Lolium perenne, Lolium multiflorum, Festuca pratensis und Trifolium repens, von Lenuweit et al. 2002 (Gesellschaft für Freilandökologie und Naturschutzplanung mbH, GfN, Bayreuth).
In der Langversion des Textes wird man in Kapitel 1.10 „Pathogene und Symbionten“ auf S. 29 ff. fündig.
Die positiven Effekte der Symbiose werden für das Gras folgendermaßen angegeben:
- erhöhtes Wachstum und vermehrte Triebentwicklung
- erhöhte Toleranz gegenüber abiotischen Stressfaktoren, insbesondere Trockenheit
- erhöhte Herbivorenresistenz gegenüber Säugetieren und Insekten.
Dazu ist anzumerken, dass Dürre und Frost für die Pflanze in weiten Bereichen identischer Stress ist (so genannte Frosttrocknis).
Erreicht werden diese positiven, von den Graszüchtern erwünschten Eigenschaften, die deshalb Gegenstand intensiver Forschung und Zucht sind, durch Produktion und Einlagerung ungiftiger wie giftiger Substanzen.
Es werden vier Gruppen (Alkaloide) von sekundären Pflanzenstoffen aufgeführt, die abschreckende oder giftige Wirkung zeigen: Ergot-Alkaloide, zum Beispiel Ergovalin; tremorige Neurotoxine wie Lilitrem B und Paxillin; Pyrrolopyrazin Peramin sowie gesättigte Aminopyrrolizidine (Loline).
Auf Weidetiere wirken alle vier Alkaloidklassen außer Peramin. Die Vergiftung mit Lolitrem B ist beispielsweise verantwortlich für die Weidelgras-Taumelkrankheit. Diese Erkrankung ist schon seit dem Altertum bekannt und wurde vor allem vom heute fast ausgestorbenen Taumellolch (Lolium temulentum) verursacht.
Dieses dem Deutschen Weidelgras sehr nahe verwandte Gras ist mit diesem gut hybridisierbar, was in der modernen Züchtung genutzt wird.
Die Pilzpartner zeigen eine Variationsbreite in der Ausprägung ihrer Alkaloidprofile. Nicht jeder Pilzpartner verursacht also Erkrankungen. Ob die Gifte bei Pferden Hufrehe oder atypische Myoglobinurie auslösen, wurde bisher nicht untersucht. Zurzeit wird erforscht, welche Gifte für das Weidelgrasfieber verantwortlich sind.
Europäische Wildpopulationen sind ebenso von Natur aus mit den Endophyten infiziert wie ein Viertel des Saatgutes. Keineswegs verwunderlich, stellt die Symbiose doch einen klaren Konkurrenzvorteil für das Gras dar.
Lenuweit et al. (2002) stellen fest, dass die wirtschaftlich positiven Wirkungen der Resistenz gegen Insektenfraß gegenüber den negativen Auswirkungen (Vergiftungen von Weidetieren) zu überwiegen scheinen. In Neuseeland wird deshalb zunehmend infiziertes Saatgut verwendet.
Wohlstandskrankheiten bei Pferden?
Pferdehaltern sollte die Gesundheit ihres Pferdes der Maßstab sein. Sind die „Wohlstandserkrankungen der Pferde“ Realität? Wenn ja, so muss man fragen: Sind in wenigen Pferdegenerationen nach Jahrhunderte langer Zucht die Pferde seit dem Zweiten Weltkrieg plötzlich genetisch degeneriert, oder haben sich die womöglich Haltungsbedingungen einschließlich des Futters grundlegend geändert?
Als Beispiel soll hier die Hufrehe durch Grünland dienen. Im Pferd kommt es zu folgenden Prozessen: Das Pferd nimmt im Tagesverlauf große Mengen von Gras auf, das hohe Mengen an Fruktanen enthält. Diese Kohlenhydrate dienen in der Pflanze unter anderem der Speicherung und dem Transport, sind aber für Pferde nur schwer verdaulich.
Bei Stress wie Trockenheit oder Kälte bilden Gräser besonders viel Fruktane. Die körpereigenen Enzyme des Dünndarmes beim Pferd können die Fruktane nur unvollständig zerlegen. Daher gelangen sie in den Dickdarm mit seinen Gärkammern. Dort stören die Fruktane das dortige ökologische Gleichgewicht der Mikroorganismen: Einige dieser Symbionten können sich massenweise vermehren, weil sie die Fruktane verwerten können.
Sie bauen sie zu organischen Säuren ab. Der pH-Wert des Darmes sinkt von normal 6,5 auf bis zu 4,0 ab. Das bewirkt ein Massensterben von Mikroorganismen. Die Darmschleimhaut wird durch den sauren Wert geschädigt. Schließlich können schädliche Abbauprodukte und Zellwandbausteine der toten Mikroorganismen über die geschädigte Darmwand in die Blutbahn gelangen. Das Immunsystem ist in Alarm, es kann zu schockartigen Zuständen kommen, die Durchlässigkeit der Blutgefäße verändert sich. Feine Blutgefäße werden verstopft.
Betroffene Gewebe schwellen an, in der Huflederhaut kommt es zur so genannten Hufrehe. Es findet eine allergische Sensibilisierung statt, die für die weitere Haltung des Pferdes problematisch ist.
Fruktane, in botanischer Literatur teilweise auch als Laevane bezeichnet, sind in Gräsern völlig normale Bausteine. Es handelt sich dabei um einen Sammelbegriff, der unterschiedlich lange Fructosyl-Zucker bezeichnet. Bekannt sind der Phlein-Typ in Gräsern und der Inulin-Typ in Korbblütlern (Dahlie, Topinambur, Löwenzahn, Chicoree).
Entscheidend ist die Menge, in der diese schwer verdaulichen Kohlenhydrate vorkommen. Die Konzentration ist nicht konstant, sondern abhängig von Grasart, Zuchtsorte, Boden und Klimabedingungen, also Temperatur, Sonneneinstrahlung, Niederschlag und Luftfeuchtigkeit, und kann beträchtlich schwanken.
Einige Beispiele:
Knaulgras enthält pro Kilo Trockenmasse Gras
nur 8 Gramm bei Wärme (11 bis 25 Grad Celsius)
130 Gramm bei niedrigen Temperaturen (5-10 Grad Celsius).
Wiesenschwingel enthält bei warmen Temperaturen kein Fruktan,
bei 5 bis 10 Grad Celsius 220 Gramm;
Deutsches Weidelgras enthält 10 bis 210 Gramm;
in Lieschgras konnten Konzentrationen von 2 (Wärme) bis 111 Gramm (Kälte) pro Kilo Grastrockenmasse nachgewiesen werden.
Wie sind diese Werte für Pferde einzustufen?
Als Auslöser klinischer Hufrehe rechnet man mit 7,5 Gramm Fruktan pro Kilogramm Lebendgewicht (LG) des Pferdes, als kritisch gelten bereits 5 Gramm/Kilogramm LG.
Ein Pferd frisst pro Tag ca. 2 bis 2,5 Prozent seines LG als Trockensubstanz. Frisches Gras enthält etwa 20 Prozent Trockensubstanz. Angenommen, ein Pferd wiegt 500 Kilogramm und frisst am Tag 500 mal 2,5 Prozent = 12,5 Kilogramm Trockensubstanz Gras, entsprechend 62,5 Kilogramm frischem Gras. Bei ungebremster Fressleidenschaft in 24 Stunden durchaus ein möglicher Wert.
Dann hätte dieses Pferd bei dem Weidelgras aus der Tabelle unter kalter Witterung 12,5 x 210 : 500 = 5,25 Gramm Fruktan pro Kilogramm LG aufgenommen und liegt dann im kritischen Bereich.
Zwar frisst das Pferd diese Menge über 24 Stunden verteilt und nicht auf einen Schlag. Doch gibt es unterschiedlich empfindliche Tiere und unterschiedlich effektive Verdauungstypen. Bekannt ist, dass hochleistungsfähige tetraploide (verdoppelter Erbgutsatz, entsprechend wie bei den Getreiden) Weidelgräser im Schnitt höhere Fruktanwerte zeigen als normale diploide Sorten. Von Bedeutung für das Pferd ist, dass kurzkettige Fruktane von den Mikroorganismen des Darmes schneller verarbeitet werden können, während langkettige nur langsam aufgeschlossen werden.
Daher sind Erstere besonders gefährlich in Bezug auf Hufrehe.
Auch Rinder können Klauenrehe bekommen, die bei ihnen jedoch zumeist die Hinterbeine betrifft. Doch haben Rinder ihre Gärkammern mit den Mikroorganismen bereits zu Beginn des Verdauungskanals, in den Mägen, die für die Verwertung offensichtlich gerüstet sind.
Wie schon erwähnt verdrängten einige wenige besonders anbauwürdige, sprich leistungsfähige Gräser eine Vielzahl von weniger produktiven Gräsern, die noch vor sechzig Jahren als ansaatwürdig galten. Diese früher genutzten Arten hatten oft Nachteile wie z.B. geringe Schmackhaftigkeit, mangelnde Vertrittfestigkeit, geringe Erträge bei wenig Düngefreudigkeit, besondere Standortansprüche an Boden und Klima, schlechtes Narbenbildungsvermögen oder frühe Alterung mit Verholzung und derben, kieselsäurehaltigen Strukturen.
Je ärmer die Böden waren, umso derber und unattraktiver war zumeist das Futterangebot. Um die modernen Gräser kultivieren zu können, mussten die Böden entsprechend aufgedüngt werden. Summiert man die Überschüsse von 1950 bis 1986 auf, so ergibt sich ein durchschnittlicher Überschuss von 2000 Kilo pro Hektar an Kalium, 900 Kilo Phosphor pro Hektar und etwa 2400 Kilo Stickstoff je Hektar.
Die Eutrophierung der Böden stellt auch heute in der Renaturierung von Naturschutzflächen aus ehemaligen Intensivflächen ein großes Problem dar. Die Verarmung der Böden (Aushagerung) kann je nach Bodengüte auch ohne Düngung bei bis zu vier Mahden jährlich Jahre oder Jahrzehnte dauern, wenn sie überhaupt sinnvoll und aussichtsreich ist.
Savanne oder Steppe – und die Konsequenzen
Im Naturschutz werden heute für Pferdehalter sehr interessante Hypothesen diskutiert. Interessant deshalb, weil die Konsequenz und Umsetzung der Hypothesen die Zucht und Haltung von Pferden in einem völlig neuen Licht beleuchtet.
Pferde und Rinder weiden heute als Landschaftspfleger für den Naturschutz, um ehrenamtliche Pflege der zunehmend großen Flächen zu ersetzen und Steuergelder bei der Pflege zu sparen. Aus der Not wurde insofern eine Tugend, als sich völlig neue Einblicke in die gegenseitige Beeinflussung von Weidetier und Weidelandschaft ergaben. Ging man bisher davon aus, dass große Teile Europas ohne menschliche Besiedlung ein Buchenurwald (Klimaxvegetation als Endstadium einer Sukzessionsreihe) mit fruchtbaren Waldböden und recht eintöniger Vegetation wären, so gibt es heute nicht wenige, die von der „Megaherbivorentheorie“ überzeugt sind.
Diese Theorie besagt, dass Riesen-Pflanzenfresser (Nashörner und Elefanten) sowie große Grasfresser (Pferde, Rinder, Riesenhirsche) sich in den vergangenen Warmzeiten des Quartär ihre eigene savannenähnliche Landschaft schufen und das auch heute täten, wären sie nicht ausgestorben oder verdrängt worden.
Mit dem Ende der letzten Eiszeit verschwanden diese hier eigentlich heimischen Tiere und der moderne Mensch besiedelte das Land. Savannenböden gehören zu den ärmsten Böden, wie auch viele Steppen- oder Heideböden. Sie stellen ein sensibles Gleichgewicht aus einem zeitlichen und räumlichen Mosaik von Vegetationsformen und Arten dar (Rasen, Wiese, Dorngestrüpp, Schirmbäume, Wäldchen). Die heute stark vom Aussterben bedrohten „lichtliebenden Hungerkünstler“ wie Arnika, Orchideen oder Enzian sind auf nährstoffarme und offene (viel Licht) Flächen angewiesen.
Wer an den Buchenurwald glaubt, für den haben diese Tiere hier auf Dauer kein Auskommen und das Aussterben der seltenen Pflanzen wäre zwar traurig aber zwangsläufig. Einer Aufdüngung der Landschaft wäre nichts entgegenzusetzen, sind doch auch Böden unter Laubwald von Natur aus fruchtbar.
Glaubt man stattdessen an die Megaherbivorentheorie, wären die von den Steinzeitmenschen gemalten Tiere hier als heimisch zu betrachten, die Landschaft eine sehr abwechslungsreiche europäische „Savanne“ mit Verwaldung in nassen und gebirgigen Bereichen. Die Böden wären teilweise als natürlich arm zu betrachten und genug Möglichkeiten zum Vorkommen von für heute seltenen Pflanzen vorhanden.
Der Erfolg im Naturschutz und Erfahrungen mit derartigen Weidelandschaften wird viele wissenschaftliche Einblicke bringen. Hypothesen dienen der Erklärung von Tatsachen. Der Erfolg einer Hypothese kann ein Hinweis auf ihre Richtigkeit sein.
Für uns Pferdehalter stellt sich die Frage: Sind Pferde Steppentiere? Oder waren zumindest einige Urformen Savannenbewohner?
Sind sie also Klimawiderständler, oder hatten sie die Möglichkeit Schutz vor Witterung und Wind zu finden? Wie ernähren, wie verhalten sich Pferde in derartigen Biotopen?
Was können wir zur Gesunderhaltung unserer Pferde daraus lernen?
aus Pferd & Freizeit (2006/2) | VFD-Verbandszeitschrift
Autor: Dr. rer. nat. Renate U. Vanselow
Redakteur: Nicole Fersing (18.09.2006) Den Artikel durften wir mit freundlicher Genehmigung des VFD-Pressedienstes übernehmen.